Der
psychische Prozeß während des Marathonlaufes |
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Im Folgenden finden Sie einen Artikel aus PSYCHOLOGIE HEUTE (Januar 2001, S.16), der anschaulich beschreibt, was sich im Marathonläufer auf seinem Weg zum Ziel abspielt: " Nach 42 Kilometern psychisch wie neugeboren Marathonläufe verzeichnen weltweit sprunghaft wachsende Teilnehmerzahlen: Es gibt bei allen Läufen mehr Interessenten, als Teilnehmer möglich sind. Was aber veranlasst Amateure aller Altersgruppen, sich monatelang durch rigide Trainingsprogramme zu quälen, um letztendlich inmitten von Tausenden anderer Sportler 42,2 Km durch eine Stadt zu laufen? Um diese Faszination zu erforschen, hat das Kölner Marktforschungsinstitut rheingold 30 Amateurläufer beiderlei Geschlechts tiefenpsychologisch analysiert und festgestellt: Marathonläufer machen auf ihrem mühsamen Weg zum Ziel einen vielschichtigen psychischen Prozess durch, der aus vier Etappen besteht. Die erste Etappe: Der Start eines Marathonlaufes ist für den Amateursportler eine erste Genugtuung, denn er ist am Ziel seiner Träume angekommen, und die quälende Trainingsdisziplin der vergangenen Monate hat ein Ende. Er ist in euphorischer Stimmung - Zweifeln und Unsicherheiten angesichts der Herausforderung begegnet er selbstbewusst:" Jetzt hast du so lange trainiert, jetzt läufst du dein eigenes Rennen!" Von dieser Stimmung und dem Applaus der Zuschauer getragen, absolviert er die ersten 20 Kilometer kraftvoll und locker. Die außergewöhnliche Situation, bekannte Ecken seiner Stadt aus ungewohntem Blickwinkel erkundenzu können, lenkt ihn beinahe vom Laufen ab. Die zweite Etappe: Um die Mitte der Marathondistanz beginnt der Läufer seine Muskeln zu spüren. Er wird müde, und der Lauf verkrampft. Mit jedem Schritt nimmt das körperliche und damit auch das psychische Leiden zu. Das Selbstbewußtsein schwindet, der Wille beginnt zu brechen, und der Läufer zweifelt an sich selbst:"Warum tust du dir das alles eigentlich a?" Machtvoll übernimmt in dieser Phase der "innere Schweinehund" das Regiment über das Seelenleben: Mit jedem weiteren Schritt wird das anfänglich starke Ego zu einem willenlosen und schmerzvollen Häufchen Elend. Die dritte Etappe: An dem absoluten Tiefpunkt des Leidens, an dem es scheinbar kein Weiterkommen gibt, verändert sich das psychische Erleben plötzlich dramatisch und leitet die Wende ein: Die Läufer geben sich selbst auf und überlassen sich der Situation. Eine geheimnisvolle Macht trägt sie und verhilft ihnen zu neuen, außergewöhnlichen Erlebnissen. Diese Macht kommt von außen: aufmunternde Blicke von Verwandten und Freunden, die mit traumwandlerischer Sicherheit an der richtigen Stelle des Laufes platziert wurden, der Beifall der Zuschauer, Sambarhytmen, Hände, die Bananen, Schokoriegel oder Wasser reichen. Das Ereignis "Marathon" mit all seinen Begleitumständen fößt dem noch vor wenigen Minuten einsam leidenden Läufer neues Leben ein. Eine Läuferin:"Es hat mich besonders ergriffen, als ich nicht mehr weiterkonnte und so dahinkroch und dann meinen Mann am Rande stehen sah, der mir zu verstehen gab: Ich bin da, wenn es dir schlecht geht. Du schaffst es!" Die vierte Etappe: Für die Bereitschaft, sich bedingungslos auf einen Leidensweg eingelassen zu haben, wird der Läufer jetzt durch ein "unbeschreibliches" Glücksgefühl belohnt. Er fühlt sich stark und mächtig: Die letzten Kilometer absolviert er wie von Flügeln getragen. Die Passion hat sich erfüllt: Der Läufer hat während des Laufes an sich gelitten und sich selbst wieder von diesem Leiden befreit - er ist Opfer und Erlöser zugleich." aus: PSYCHOLOGIE HEUTE , Januar 2001, S.16 |